Ich kriege di doch

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"Ick kriege di doch!"

Das Schlußlicht der sozialen Skala noch hinter den Brinksitzern bildeten vom Mittelalter und bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts die zunehmend große Gruppe der Heuerlinge, die in den Steuerlisten nicht zu finden sind, weil sie eigentlich nichts besaßen.

Diese Gruppe entstand, als die ländliche Bevölkerung seit dem 16. Jahrhundert stark zunahm. Gleichzeitig benötigten die Bauern in wachsenden Umfang Bargeld, da die Grundherren vermehrt Geld anstatt der Naturalleistungen wünschten. Deshalb vermieteten (Heuer = Miete,) die Bauern in Erpen seit etwa 1650 die auf den Höfen bestehenden Wohnmöglichkeiten, wie etwa leerstehende Leibzuchten, die sog. Backhäuser oder auch Scheunen ("Hüssel", "Hüsselten"). Die Heuerlinge wurden zu ländlichen Arbeiten auf dem Stammhof herangezogen und erhielten andererseits auch einen kleinen Acker zur Eigenbewirtschaftung.

Noch 1693 ist die Zahl der echten Heuerlinge relativ gering. Sie beschäftigten sich neben der Hilfeleistung für den Hof vorwiegend mit Landwirtschaft, daneben waren sie Tagelöhner (im Forst, im Steinbruch, in der Saline), betrieben ein ländliches Handwerk oder Heimarbeit (Leinenweberei).

Die Heuerlinge lebten in einfachsten Verhältnissen. Im Jahr 1827 berichtet ein Arzt über Laer und Glane, daß die Familien dicht gedrängt in den Hüssel lebten. Sechs bis sieben Personen teilten sich eine Schlafstelle, die dabei so kurz sei, daß ein mittelgroßer Mensch schon gekrümmt darin liegen müsse. Zudem seien die Stuben so niedrig, daß nur kleine Personen darin aufrecht stehen könnten und so eng, daß außer Tisch und Ofen kaum ein Paar Stühle stehen könnte .

Besondere Not litten die Heuerlinge in Erpen beispielsweise bei Mißernten wie 1770/71 und 1830 oder in den schlimmen Hungerjahren 1844-47 . Es wird erzählt, daß Holzhauer im Winter 1846/47 in ihren Henkelmännern hinter der einzigen Kartoffel in ihrer wässrigen Suppe gefischt hätten und der eine nach längerem Mühen ärgerlich gedroht habe: "Ick kriege di doch!"

Im Jahr 1848 brachen im Gefolge der Februarrevolution in Paris und der Ausrufung der französischen Republik wegen der sozialen und politischen Mißstände Unruhen in Italien, Ungarn und Deutschland aus, die auch auf das Kirchspiel Dissen übergriffen.

Im März wurden die Fenster beim Steueraufseher Leege in Rothenfelde eingeworfen, man drohte ihn tot zu schlagen und er floh. Wenig später kam es in Dissen zum Aufstand . 300 bis 500 Heuerlinge, Handwerker und Dienstboten rotteten sich zusammen, tranken sich in den Wirtschaften Mut an, zogen lärmend durchs Dorf , demolierten ein Pfarrhaus und zerschlugen zahlreiche Fenster. Eine Bürgerwehr und 86 Infanteristen brachten wieder gewaltsam die Ruhe nach Dissen. Ähnlich ging es in den Nachbarkirchspielen zu.

Dabei waren die Heuerlinge besonders verärgert über die Markenteilung. In den Jahren 1797-1815 teilten sich nämlich die Voll- und die Halberben, die Erb- und die Markkötter unter erheblicher Beteiligung auch des Leibherrn die allgemeine Mark in Erpen unter sich restlos auf. Die anderen gingen leer aus, dazu gehörten auch die Heuerlinge, die nun ihr Vieh nicht mehr zu weiden wußten.

Nicht nur die Weidefläche war den Heuerlingen entzogen worden. Hinzu kam die ungünstige Entwicklung ihrer Nebenerwerbe. In der Zeit der Zugehörigkeit zum hannoverschen Staat waren die hannoversch-englischen Könige mehr am Verkauf ihres englischen Kattuns, der Baumwolle, interessiert, deshalb wanderte die Leinenherstellung in das westfälisch-preußische Gebiet aus (z.B. nach Bielefeld). Damit fielen die Nebeneinkünfte der Heuerlinge durch die Leinenherstellung weg.

Weitere Probleme der damaligen Jahren waren die allgemeine Teuerung, die hohen Abgaben an den Grundherrn und seine Vorrechte am Berg und Wald und bei der Jagd, die Schulgeldpflicht und eine große Reihe staatlicher Monopol- und Konzessionsbestimmungen.

Die sozial schlechte Lage der armen Menschen auf dem Land und auch der Arbeiter in der Stadt, im ganzen Land und im Ausland führte zu einer gärenden Stimmung. In diesen Jahren schrieb Karl Marx seine ersten Schriften.

In den folgenden Jahrzehnten ging es den Heuerlingen dann etwas besser, als durch die Auswanderungswelle nach Amerika die Arbeitskräfte knapp wurden und wieder Arbeit für besseren Lohn zu finden war. Aus dem Osnabrücker Raum wanderten über 50.000 Menschen aus und allein aus dem Kirchspiel Dissen etwa 1500 Personen .

Nach dem Bau der Bahn 1886 und dem Aufkommen mancherlei Industrie (Holzwirtschaft, Kalkbrennerei, Fleischwarenfabrikation, Molkereien, Badebetrieb in Rothenfelde, etwas entfernt die Oeseder Lößmühle, der Karbonabbau am Piesberg und der Kohleabbau in Georgsmarienhütte) besserte sich die Beschäftigungslage der Heuerlinge erheblich.